Sexualität

Problemlage:

Sexualität gehört zu den existentiellen Bedürfnissen des Menschen und ist für die Persönlichkeitsentwicklung von zentraler Bedeutung. Sie umfasst Körper, Geist und Seele. Liebe empfangen und geben, Partnerschaft, Zärtlichkeit, Intimität und Erotik wünschen sich Frauen und Männer jeden Alters. Und auch Frauen und Männer mit Behinderungen. Doch  die Sexualität alter Menschen ist ein Tabu.

Die Mutter, der Vater, die Oma, der Opa. Die sind vor allem alt, nett und gebrechlich. Schwerhörig, vergesslich, verschrumpelt. Die interessieren sich für ihre Nachbarn, ihren Hund, ihr Essen, ihre Krankheiten. Aber sicher nicht für Sex. Daher ist Sexualität im Alter und auch bei pflegebedürftigen Menschen noch weitgehend ein Tabuthema.

Mit der Veranstaltung wollen DRK Kreisverband Eichsfeld und Lebenshilfe Leinefelde-Worbis e.V. sich einem Tabuthema widmen, eine breite Diskussion entfachen und zum Nachdenken über dieses Thema anregen.

 

Gerade der demografische Wandel fordert ein Umdenken über die Bedürfnisse von alten und behinderten Menschen. Dabei geht es nicht um Sex sondern es geht um Berührungen, Nähe und Wärme.

Die Bedürfnisse alter und behinderter Menschen sind nicht beschränkt auf „sauber, satt und trocken“ . Viele Bedürfnisse gehören zum Überleben, nämlich der Hautkontakt, die Berührung und die Streicheleinheiten.

Es gibt zahlreiche Untersuchungen über die Einsamkeit von Menschen. Und immer wieder sagen Menschen, sie wollten „einfach mal in den Arm genommen werden“.

„Satt, sauber, warm, trocken – Stellen wir uns so die Pflege der Zukunft vor?“ Ungefähr 1,5qm Haut hat jeder Mensch. Außer beim Waschen oder bei medizinischen Behandlungen alter Menschen wird ihr keine Beachtung geschenkt. Der Tastsinn, lokalisiert in der Haut, ist unser ältestes und größtes Sinnesorgan, unser „Fühler“ . Wir sind in der Welt als unserer Welt nicht über abstraktes Denken, sondern über unseren Körper.

Die moderne Gesellschaft ist gekennzeichnet durch Berührungs-armut. Ältere Menschen verarmen an Berührung durch Verlust körperlicher Attraktivität, Verlust des Partners, Heimunterbringung. Dabei sehnt sich der alte und behinderte Mensch nach Berührung und Zärtlichkeit. Das kann die Pflege nicht leisten.

Gabriele Paulsen, Gründerin der Nessita GmbH aus Hamburg und bekannt aus zahlreichen Fernsehsendungen und Diskussionsrunden, wird in ihrem Vortrag „Lebenslang Lust auf Nähe- unabhängig von Alter und Behinderung“ den Zuhörern das Thema Sexualassistenz näherbringen und dem Tabu begegnen.

Folgende Schwerpunkte werden in der Veranstaltung thematisiert:

  • Wenn Paarbeziehungen zu Pflegebeziehungen werden.
  • Wo bekomme ich welche Unterstützung?
  • Was ist Sexualassistenz? Wie ist Ihre ganz persönliche Haltung dazu?
  • Für wen und warum kommt Sexualassistenz in Frage?
  • Nach welchen Kriterien wird durch wen entscheiden?
  • Welche Verantwortung haben die MitarbeiterInnen/ die Einrichtung?
  • Welche Rolle spielen Betreuer und Angehörige?

 

Sexualassistenz ist eine Dienstleistung, die es immobilen Menschen ermöglicht, ihre Sexualität würdevoll, diskret und mit entgegen gebrachten Respekt erleben zu können.

Die Begleitung kann aktiv oder passiv erfolgen. So zählen Gespräche, die persönliche Hilfe bei der Selbstbefriedigung oder eine Beratung über geeignete sexuelle Hilfsmittel zur passiven Sexualassistenz. Die aktive sexuelle Assistenz umfasst erotische Massagen, den Austausch von Zärtlichkeiten (wie sich gegenseitig streicheln und umarmen)

Sexualassistenz ist vor allem auf Senioren sowie Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung ausgelegt.

Die Dienstleistung möchte Älteren und Menschen mit Behinderung die Gewissheit vermitteln, dass ihre sexuellen Wünsche etwas ganz normales sind und ihnen dabei helfen, diese auszuleben.

Sexualassistenz ist eine Dienstleistung, die es immobilen Menschen ermöglicht, ihre Sexualität würdevoll, diskret und mit entgegen gebrachten Respekt erleben zu können.

Die Sexualität von Frauen und Männern mit Behinderung wird oft als problematisch angesehen. Dies trifft weniger für die Betroffenen selbst zu als für diejenigen, die sie unterstützen, und für ihre Angehörigen. Jeder Mensch, egal, ob behindert oder nicht, hat individuelle sexuelle Wünsche.

Körperlich oder geistig behinderte Menschen brauchen bei der Umsetzung aber mitunter Hilfe von Dritten. In Artikel 2 des Grundgesetzes steht: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Und in Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Die Beratungsorganisation Pro Familia schreibt: „Mit der Umsetzung der im Gesetz festgeschriebenen Rechte tun sich alle schwer: die Behinderten, die Eltern, die Betreuenden, die MitarbeiterInnen in den Einrichtungen und schließlich der Gesetzgeber selber.“

Unsere Nachbarländer – allen voran die Schweiz und die Niederlande – sind in Sachen Sexualbegleitung schon wesentlich weiter.

Die Gesunden wissen nicht, was den Kranken bewegt und aufgrund der kognitiven Veränderungen im Inneren umtreibt. Sie verschreiben sich den eigenen Werten und Normen und schaffen somit häufig das Gefängnis mit dem Namen „so war es und nur so darf und kann es sein“.

Dennoch sind sexuelle Gefühle bei älteren Menschen ebenso natürlich wie bei jüngeren. Sie äußern sich vor allem im Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Körperkontakt. Besonders im Leben behinderter Menschen hat Sexualität häufig nicht die Anerkennung, die ihr gebührt. Oft werden ihnen wichtige Informationen und Erfahrungen – immer aus gut gemeinter Absicht – vorenthalten. Oft glauben sie selber, Sexualität passe nicht in ihr Leben.

Mit der fortschreitenden Emanzipation behinderter Menschen und mit der modernen Entwicklung der Pädagogik beginnen sich solche Einstellungen zu ändern.

Sexualität im Alter wird leider oft als Tabuthema behandelt. Sexualität wird mit Jugend, Vitalität und Gesundheit verknüpft, während älteren und körperlich beeinträchtigten Menschen die Lust auf Sex abgesprochen wird. Das belegen Studien, die sich mit dem Thema Sexualität im Alter beschäftigt haben.

Diese Bedürfnisse beschränken sich nicht nur auf den physischen Akt der Sexualität, sondern umfassen auch Streicheleinheiten, Liebkosungen und die Gespräche über sexuelle Wünsche.

Studien belegen auch, dass sexuelle Aktivität die körperliche und mentale Gesundheit von älteren und immobilen Menschen fördert. Für viele Menschen ist es allerdings ein Problem, ihre sexuellen Wünsche bis ins hohe Alter zu erfüllen. Entweder fehlt ihnen ein Partner, oder gesellschaftliche Konventionen generationsspezifische Moralvorstellungen hindern Ältere daran, ihre sexuellen Bedürfnisse zu artikulieren.

Sexuelles Verlangen wird unterdrückt, das führt zu Frustrationen, die sich negativ auf die körperliche und mentale Gesundheit auswirken können.

Lösungen und Angebote

Fortbildungsveranstaltung

„Lebenslang Lust auf Nähe – unabhängig von Alter und Behinderung“

Es ist offenbar ein Tabuthema: Alte Menschen, Menschen mit Behinderung und Sexualität – das passt in vielen Köpfen nicht zusammen. Darüber zu reden, fällt noch schwerer.

Sexualität wird mit Jugend, Vitalität und Gesundheit verknüpft, während älteren und körperlich beeinträchtigten Menschen die Lust auf Sex abgesprochen wird.

Körperliche Lust und sexuelle Sehnsucht entsteht und existiert aber unabhängig von Alter oder Behinderung. Auch Menschen mit Behinderung müssen genauso wie andere mit ihren Wünschen nach Partnerschaft, Liebe und Sexualität umgehen. Hormone machen auch vor einer Behinderung nicht halt.

Obwohl das Grundgesetz in Artikel 2 und 3 das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderung regelt, tun sich alle mit der Umsetzung der im Gesetz festgeschriebenen Rechte schwer: die Menschen mit Behinderung, die Eltern, die Betreuer und die MitarbeiterInnen in den Einrichtungen. Die Realisierung dieses Anspruchs ist für viele Menschen mit Behinderung nicht so selbstverständlich wie für Menschen ohne Behinderung. Der DRK-Kreisverband Eichsfeld und die Lebenshilfe Leinefelde-Worbis fanden es an der Zeit, dieses Thema zum Gegenstand einer Fortbildungsveranstaltung zu machen.

Als Referentin konnte Gabriele Paulsen, Gründerin und Geschäftsführerin der NESSITA GmbH aus Hamburg gewonnen werden. Gabriele Paulsen arbeitete zunächst viele Jahre als Fachkranken-schwester in der Anästhesie- und Intensivpflege, ist zertifizierte Pflegeberaterin und möchte nun mit Nessita in Deutschland einen Beitrag dazu leisten, die sexuelle Assistenz mit seriösen und diskreten Dienstleistungen zu enttabuisieren und immobile Menschen dabei unterstützen, ihre erotischen Wünsche selbstbestimmt und würdevoll zu erfüllen.

In ihrem Vortrag „Lebenslang Lust auf Nähe- unabhängig von Alter und Behinderung“ ging es um die sogenannte Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung und für alte Menschen. Menschen, die als „geistig behindert“ gelten, haben keine „besondere“ Sexualität. Die meisten von ihnen wünschen sich genau das gleiche wie ihre nicht behinderten Altersgenossen: Flirt, Freundschaft, Liebe, Partnerschaft, Zärtlichkeit, Geborgenheit, Leidenschaft. Sie haben die gleichen Grundbedürfnisse wie andere Menschen auch. Im Umgang mit der Sexualität geistig behinderter Menschen gibt es jedoch immer noch viele Unsicherheiten. Es geht darum, die eigene Sexualität zu erfahren und die Persönlichkeit zu stärken.

Sexualassistenz ist vor allem auf Senioren sowie Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung ausgelegt. „Wir wollen eine selbstbestimmte Sexualität ermöglichen. Dabei geht es mehr um das Beieinandersein, das miteinander Nacktsein, das miteinander Zärtlich Sein und Kuscheln.

Darunter fällt auch die erotische Berührung als solche. Der Sexualassistent soll ausführen, was der behinderte Mensch möchte, mit dem Sexualbegleiter geht der Kunde für eine begrenzte Zeit auch eine emotionale Partnerschaft ein“ erklärt Gabriele Paulsen.

Zertifizierte Sexualbegleiter, sind keine Prostituierten im herkömmlichen Sinne. Sie ermöglichen erste intime Erfahrungen und leiten an, wie Sexualität ausgelebt werden kann. Die Begleitung kann aktiv oder passiv erfolgen.

So zählen Gespräche, die persönliche Hilfe bei der Selbstbefriedigung oder eine Beratung über geeignete sexuelle Hilfsmittel zur passiven Sexualassistenz. Die aktive sexuelle Assistenz umfasst erotische Massagen und den Austausch von Zärtlichkeit. „SexualbegleiterInnen sind Frauen und Männer, die aus einer gesunden und bewussten Motivation heraus, Menschen, die auf Grund ihrer Situation (u.a. Alter, Krankheit, Unfall, Biographie) eine behutsame, kreative Annäherung auf dem Gebiet der Sexualität brauchen, ein intimes, sinnliches und erotisches Erlebnis und ein positives Körpergefühl vermitteln.

Gabriele Paulsen erinnert sich, dass bei dem Pflegepersonal bei der Aufstellung eines Pflegeplanes bei dem Punkt: „Sich als Mann oder Frau fühlen“, eine gewisse Hilflosigkeit vorhanden ist. In professioneller Pflege sind erotische Erlebnisse nicht vorgesehen. Pflege will, kann, muss, soll und darf es nicht. Pflege berührt aber jeden Tag in der Grundpflege unter professionellem Aspekt ( mit Schutzhandschuhen). Bezug nehmend auf das Problem von „verbalen oder nonverbalen sexuellen Übergriffen“ sowie enthemmtes und herausforderndes Verhalten in der Pflege, sprach Gabriele Paulsen zwei Fragen an, nämlich: Wie schütze ich den Mitarbeiter der Einrichtung? und Welches Lösungsangebot mache ich dem Klienten?

Menschen mit Behinderung sind im Umgang mit Sexualität oft hilflos. Kommen Menschen mit Behinderung in die Pubertät, kann vereinzelt autoaggressives Verhalten, oder anderen Bewohnern gegenüber auftreten.

Gerade für kognitiv eingeschränkte Menschen, bei denen eine Einwilligungsfähigkeit vorliegen muss, haben die Einrichtungen einen besonderen Fürsorgeauftrag. Nicht immer ist es möglich, Beziehungen innerhalb der Einrichtungen zu finden. Das Betreuungspersonal ist weder für das Verkuppeln, noch für das Trennen zuständig. Das gehört nicht zu ihren Aufgaben. Trotzdem ist manchmal Hilfe vonnöten.

Jeder Mensch, egal, ob behindert oder nicht, hat individuelle sexuelle Wünsche. Körperlich oder geistig behinderte Menschen brauchen bei der Umsetzung aber mitunter Hilfe von Dritten. NESSITA selbst hat dabei beste Erfahrungen mit der Surrogat-Partnerschaft, einer Modellbeziehung bei der weder Kommunikation, noch Nähe, noch Berührung bedrohlich sind.

Im Zentrum steht die respektvolle, achtsame und wertschätzende Begegnung. Viele Menschen haben ein Konstrukt im Kopf, bei dem Sex so leidenschaftlich sein muss wie im Kino oder so wild wie im Internet. Diese Konstrukts sind der Ursprung vieler sexueller Hürden.

Darum steht das Miteinander-vertraut-werden, das Sich-wohl-fühlen an erster Stelle dieser Therapieform. Der Klient lernt zu berühren und berührt zu werden und sich dabei wohl zu fühlen. Um professionell mit diesen Themen umgehen zu können, ist eine fachliche Aufklärung und Schulung des Pflegepersonals erforderlich.

Gabriele Paulsen will mit ihrer Vermittlungsagentur für Sexualassistenz neue Wege aufzeigen und helfen, Veränderungen aktiv mitzugestalten. Die sexuelle Selbstbestimmung als Gedanke der Menschenrechte steht dabei im Fokus ihres Handelns. Die Veranstaltung „Lebenslang Lust auf Nähe – unabhängig von Alter und Behinderung“ war die erste ihrer Art in der Region, an der mehr als 70 Gäste teilgenommen haben.

Der Vortrag und die Diskussion haben gezeigt, dass dieses Thema in Pflege und Betreuung zunehmend Beachtung verdient. Die anwesenden Pflegekräfte waren sehr froh, ihre Erlebnisse und Erfahrungen in Puncto Sexualität ihrer Klienten ansprechen zu können. Das Thema „sexuelle Assistenz“ ist weiter auf dem Weg in die gesellschaftliche Akzeptanz. Fachleute, Experten und Wissenschaftler sind sich einig: Sexuell ungestillte Bedürf-nisse können zu einer starken psychologischen Belastung für alle Betroffenen werden. Der Bedarf an Sexualassistenz wächst von Jahr zu Jahr.

Das Projekt wird durch die Partnerschaft für Demokratie im Eichsfeld im Rahmen des Bundespro-gramms „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie durch das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit gefördert.

Mehr Informationen

Weiterführende Hinweise und Darstellungen finden Sie hier.